„Blind Date“ mit dem Pflichtverteidiger oder verschollen in Berlin


Mir flatterte ein Beschluss des AG  Tiergarten ins Haus, mit dem ich  nach Anklageerhebung einem mir noch unbekannten Mandanten als Pflichtverteidiger beigeordnet wurde. Mein neuer Mandant soll seinem Großvater die Kreditkarte geklaut haben und damit auf Einkauftour gegangen sein. Als die Karte gesperrt wurde, forderte er einfach eine neue an, setzte eine falsche Unterschrift darunter und kaufte fröhlich weiter ein. Wie üblich, erhielt der Mandant ein erstes Informationsschreiben mit der Bitte, einen Besprechungstermin mit mir zu vereinbaren. Nach Einsicht in die Akte folgte ein zweites Schreiben, um mich in Erinnerung zu bringen.

Der Mandant kam nicht. Nachdem das Gericht dann einen Hauptverhandlungstermin bestimmt hatte, folgte die nächste Erinnerung, in der ich höflich meine Verwunderung über sein Desinteresse zum Ausdruck brachte. Es kam der Tag der Hauptverhandlung und wie nicht anders zu erwarten, erschien mein Mandant auch da nicht. Kurz vor dem Termin kam ein älterer Herr, von dem ich vermutete, dass es sich um den Großvater handeln könnte. Als ich ihn ansprach bejahte er dies auch und ich gab ihm eine Karte mit der Bitte, seinem Enkel doch mal auszurichten, es sei wichtig, sich bei mir zu melden.

Es erging auf Antrag der Staatsanwaltschaft ein sogenannter Sicherungshaftbefehl, danach wird ein nicht entschuldigt fehlender Angeklagter verhaftet und zur nächsten Hauptverhandlung vorgeführt. Das schrieb ich dem Mandanten und riet wieder einmal dringend dazu an, sich schleunigst bei mir zu melden. Zwei Tage später rief mich der Richter an, um mir mitzuteilen, dass er ein ärztliches Attest vorliegen habe und der Haftbefehl aufgehoben ist. Wir vereinbaren gleich einen neuen Termin und ich übermittelte meinem Mandanten die frohe Botschaft. Er meldete sich nicht.

Es kam der nächste Verhandlungstag und ich wartete gespannt auf dem Gerichtsflur auf meinen Mandanten, den ich bislang nur von Lichtbildern aus der Akte kannte. Der Großvater war auch wieder da. Als ich ihn ansprach erzähle er mir, er wäre mit seinem Enkel gemeinsam im Auto auf dem Weg zum Gericht gewesen. Dann habe sein Enkel jedoch aufgrund der Verkehrsdichte gemeint, es wäre besser, er fahre mit der U-Bahn und sei ausgestiegen. Auf meinen Einwand hin, dass er seltsamerweise trotz des dichten Verkehrs da ist und sein Enkel nicht, wunderte er sich  auch.

Die Sache wurde aufgerufen und der Richter fragte mich, wo denn mein Mandant sei. Ich entgegnete, da müsse er besser den Großvater fragen, nicht mich, mir würde er die Geschichte ohnehin nicht glauben. Großvater berichtete erneut von seinem pflichtbewussten Enkel, der die U-Bahn nehmen wollte, um ja nicht zu spät zum seinem Gerichtstermin zu kommen, was aber alle Beteiligten nicht so recht glauben mochten. Wieder erging ein Sicherungshaftbefehl, der dann kurze Zeit später auch vollstreckt wurde.

Natürlich rief mein Mandant mich bei seiner Verhaftung sofort an, natürlich wollte er mich sofort sehen und natürlich sollte ich dafür sorgen, dass er sofort aus der Haft wieder entlassen wird. Ich besuchte ihn erst einmal in der JVA Moabit, die den unschlagbaren Vorteil hat, dass dort Inhaftierte nicht vor ihrem Verteidiger weglaufen können. Endlich konnten wir uns über seine Verteidigung verständigen und den kurzfristig angesetzten nächsten Hauptverhandlungstermin vorbereiten. Im Ergebnis gab es eine vertretbare Freiheitsstrafe, die allerdings aufgrund einer furchtbaren Sozialprognose – inzwischen war auch bereits ein weiterer Haftbefehl wegen gewerbsmäßigen Betruges in der Welt – nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde.

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